Schwaben - Tirol

Aus: Schwaben - Tirol. Beiträge. Ausstellung Augsburg 1989, S. 35-42. - S. auch Beitrag "Hauslandschaft der Almen im Karwendel" - www.lechrain1.de/almen/work/index.html

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Historische Beziehungen zwischen Schwaben und Tirol in der Neuzeit


von Pankraz Fried


I. Schwäbisch-tirolische Nachbarschaft: Definitionen


Es war schon für die mittelalterliche Memminger hÜTTE Geschichte ein schwieriges Unterfangen, die Gesamtbeziehungen zwischen Schwaben und Tirol darstellerisch einzufangen, wenngleich hier die einzelnen Bezüge noch weniger ausgeprägt waren und einen wesentlich geringeren Niederschlag in den Quellen gefunden haben. Dies ändert sich mit der beginnenden Neuzeit, im Grunde schon in den spätmittelalterlichen Jahrhunderten. Die einzelnen Beziehungen vermehren und verstärken sich, der quellenmäßige Niederschlag in den Archiven beginnt anzuwachsen.1) Trotz einer Reihe von Studien wartet die immer größer                  Memminger Hütte in Tirol          

werdende Quellenfülle noch auf Auswertung, die im Grunde Jahrzehnte intensiven Forschens erfordert. Man betritt deswegen durchaus Neuland, wenn man in der Literatur speziell nach Titeln sucht, die explizit über Beziehungen zwischen Schwaben und Tirol in der Neuzeit handeln. 2)  Ein Blick in Michael Forchers Buch »Bayern - Tirol« 3)  zeigt, daß hier die altbayerisch-tirolischen Beziehungen dargestellt sind. Zu Recht, könnte man sagen, wenn nicht die schwäbisch-tirolischen Beziehungen vor 1800 als selbstverständliches Anhängsel der (alt- )bayerischen Geschichte miteinbezogen wären. Daß von den tirolischen (Handels- )Beziehungen mit Bayern diejenigen mit den freien Reichsstädten wie Augsburg, Regensburg und Nürnberg auseinanderzuhalten sind, darauf hat bereits Fridolin Dörrer 1967 hingewiesen und bemerkt, daß diese ja erst 1806 bzw. 1810 dem König-reich Bayern einverleibt worden sind.4) Vom bayerischen Standpunkt aus mag es naheliegen, die Frage zu stellen, ob denn die schwäbischen, vor allem ostschwäbisch-tirolischen Beziehungen so gewichtig waren, daß ihre eigenständige Darstellung, sogar in einer eigenen Ausstellung, gerechtfertigt ist: Ist nicht die Gefahr einer Übersteigerung gegeben, wenn diese Beziehungen allein oder zu sehr aus der schwäbischen Perspektive gesehen werden? Man kann als Antwort darauf die Gegenfrage stellen: Unterliegen nicht Eigenständigkeit und Gewicht schwäbisch-tirolischer Nachbarschaftsbeziehungen aus bayerischer Sicht der nämlichen Gefahr, hier allerdings umgekehrt, verkleinert, vernachlässigt oder gar für Altbayern vereinnahmt zu werden? Eine objektivere Antwort erhält man schon eher, wenn man etwa eine Geschichte der Stadt und des Hochstifts Augsburg, der schwäbischen Klöster und Adelsherrschaften oder die bisher vorliegenden zusammenfassenden Darstellungen zur Wirtschafts-, Kunst- und Kirchengeschichte Schwabens, vor allem Ostschwabens, zur Hand nimmt 5): Hier scheinen sofort die eigenständigen Beziehungen auf vielfältigen Gebieten zwischen beiden Ländern auf. Zwar sind hier politisch¬staatliche Beziehungen derart, wie sie zwischen Bayern und Tirol bestanden, relativ gering, doch sind sie dafür kaum durch größere kriegerische Auseinandersetzungen belastet. Auf wirtschaftlichem, künstlerischem und geistigem Gebiet sind jedoch  Beziehungen zumindest von gleicher, wenn nicht stärkerer Intensität vorhanden.

Wenn schwäbisch-tirolische Beziehungen in der Neuzeit dargestellt werden sollen, so hat dies zur Folge, daß im Falle Schwabens eine untergegangene historische Region, allerdings gegliedert in eine Vielzahl selbständiger Herrschaften, wieder auftaucht und daß die reichisch und vorderösterreichisch geprägte Vergangenheit Schwabens wieder sichtbar wird.6] Es ist eine Geschichte, die seit den Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts von der Historiographie der damals formierten süddeutschen Mittelstaaten in den Hintergrund gedrängt worden ist. Man braucht vom bayerischen Standpunkt aus jedoch nicht besorgt zu sein, daß Bayerisches zu kurz kommt oder gar ganz aus dem Blickfeld gerät: Die bayerische Nachbarschaft, vor allem auf dem herrschaftlichen Sektor, war im östlichen Schwaben zweifellos ebenso präsent wie die tirolisch-habsburgische. Doch bestand bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts eben ganz überwiegend schwäbische Nachbarschaft zu Bayern und nicht, wie seit 1803 bis zur Gegenwart, bayerische "Staatsuntertanenschaft", die sich durch den Demokratisierungs- und Kom-munalisierungsprozeß zur bayerischen Staatsbürgerschaft im Bezirk Schwaben emanzipierte. 7)


Während das Landesfürstentum Tirol zu Beginn der Neuzeit aber als politische Größe mit festumrissenen Grenzen festlag, die sich bis 1918 kaum mehr wesentlich veränderten, ist der schwäbische Raum seit dem Untergang der Staufer in eine Vielzahl verschiedenster Territorien aufgesplittert. Was in den historischen Quellen seitdem als »Schwaben« erscheint, ist mehr eine Landschafts bezeichnung als eine politische Einheit. 8) Man suchte dem schwäbischen Raum, von dem sich bis zum »Schwabenkrieg« 1499 längst die schweizerischen Kantone abspalteten, durch Wiederaufrichtung des schwäbischen Herzogtums, durch Landfriedenseinungen und Städtebündnisse, zuletzt durch den Schwäbischen Städtebund (1488) eine gewisse innere Stabilität und eine Einheit nach außen zu geben. Doch brachte erst die Errichtung eines Schwäbischen Reichskreises 1500/1512  einen gewissen Fortschritt in dieser Richtung. Obgleichdiesem eine wesentlich größere Bedeutung als dem bayerischen oder österreichischen Reichskreis zukam, so blieb doch auch der schwäbische bis zu seiner Auflösung 1806 eine völkerbundähnliche Selbstverwaltungsorganisation der Territorien, deren Größe und herrschaftlich¬staatliche Kompetenz in Schwaben äußerst unterschiedlich waren. Da die österreichischen Herrschaften in Schwaben und speziell vor dem Arlberg zum österreichischen Reichskreis gehörten, bildete das kleine Stück hochstiftisch-augsburgisch/tirolische Grenze die Grenze zu »Schwaben«. Abgesehen vom Städtchen Vils, das erst nach der napoleonischen Zeit 1816 noch zu Tirol kam, stellt sie heute noch die Grenzmarkierung zwischen Schwaben und Tirol dar. Das Herzogtum Bayern, das ehedem im Nordwesten nur mit einem winzigen Stück des Klostergerichts Ettal die tirolische Grenze berührte, konnte hier durch den Erwerb der Herrschaft Schwangau von dem Augsburger Patrizier Paumgartner 1565/67 etwas breiter Fuß fassen.


Es ist also hier nicht möglich und auch nicht beabsichtigt, »Schwaben« als gesamtschwäbischen Raum zu begreifen, also weder das Gebiet des mittelalterlichen alemannisch-schwäbischen Stammesherzogtums noch die Gebilde, die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit als Schwaben bezeichnet wurden (Landfriedensbezirk, Städte- und Ritterbünde, Reichskreis). Ort und Veranstalter der Ausstellung legten es nahe, den heutigen bayerischen Bezirk Schwaben sozusagen als Untersuchungsraum auch für die Zeit vor 1800 zu wählen, ihn jedoch jederzeit darüber hinaus auszudehnen, wenn dies der historische Zusammenhang als geraten erscheinen ließ. Hier kann die alte Augsburger Bistumsgrenze hilfreich sein. Zentrum des hier behandelten Schwabens ist also das östliche Schwaben, das von Augsburg aus durch den sog. »Oberen« und »Unteren« Weg mit Tirol verbunden war (Strecke über den Fernpaß bzw. Seefelder Sattel). Die Verbindungen über den Arlberg zu den davor gelegenen österreichischen Herrschaften wie zu den übrigen, im Schwäbischen gelegenen Vorlanden und schwäbischen Gebieten überhaupt müssen hier, wie schon im mittelalterlichen Teil, vernachlässigt bleiben.


Was historische Beziehungen zwischen zwei Regionen, im Grunde also eine historische Regionalbeziehung zum Inhalt hat, haben soll, bedürfte einer eigenen theoreti-[36]schen Untersuchung.9) Ganz allgemein sei  festgestellt, daß es sich um Wechselbeziehungen (»Interaktionen«) auf verschiedenen Gebieten handelt, um herrschaftlich politische, geographisch -verkehrsmäßige, wirtschaftliche, kulturelle und geistige Begegnungen und Auseinandersetzungen mit jeweils unterschiedlichem Gewicht (»Potential«). Dabei wird der Gesichtspunkt von wechselseitigen Personen- und Bevölkerungs(ein)wanderungen (»Migrationen«) von besonderem Interesse sein. Wie für das Mittelalter, so wurde auch für die Neuzeit von wissenschaftlichem Beirat und Ausstellungsleitung versucht, in Ausstellung und wissenschaftlichen Studien die bedeutendsten Beziehungen darzustellen bzw. zu erörtern. 10)


Ein Ergebnis dieser Bemühungen ist sicherlich die Tatsache, daß Umfang und Gewicht der schwäbisch-tirolischen Beziehungen, die bisher ganz im Schatten der bayerisch-tirolischen Stammesbruderschaft standen, zum ersten Mal deutlich gemacht wurden. Ich glaube, daß die Gefahr einer Übersteigerung, die immer naheliegt, vermieden worden ist. Dies kann der Vergleich mit den tirolisch-bayerischen Beziehungen unschwer zeigen. Im Folgenden eine Inhaltsangabe oder Zusammenfassung der neuzeitlichen Einzelbeiträge zu bieten, wäre eine unnötige Doppelarbeit. Es soll lediglich versucht werden, durch Erörterung von Einzelaspekten einen gewissen Überblick zu geben, der notwendigerweise unvollständig und lückenhaft sein muß.


II. Epochen der Beziehungen


Als tiefgreifender Epocheneinschnitt in dem hier zu behandelnden Zeitraum müssen die Jahrzehnte des beginnenden 19. Jahrhunderts angesehen werden, in denen ein Abbruch vieler bisheriger Beziehungen erfolgte. Im Zeitraum vor diesem Epocheneinschnitt (etwa Kaiser Maximilian I. (1490) bis Franz II. blieben die herrschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen, wie sie sich bis zu Beginn der Neuzeit entwickelt hatten, im wesentlichen konstant, wenn auch nicht unverändert: Der Dreißigjährige Krieg mag hier eine gewisse Zäsur für den wirtschaftlichen Bereich bilden, wie das Jahr 1665, in dem Tirol als Träger einer selbständigen Außenpolitik ausgeschieden ist, für den politischen. Für den Zeitraum der neuesten Geschichte nach 1816 ist die Teilung Tirols 1918/19 als Folge des verlorenen Ersten Weltkrieges ein bedeutsamer Einschnitt.

III. Grenzen, Straßen, Pässe, Klausen

Regionale Beziehungen sind meist durch geographische Nähe und Nachbarschaft bedingt. Im Vergleich zur »schwäbisch«-bayerischen Grenze von Füssen bis Rain am Lech ist der Grenzkontakt zwischen Tirol und Schwaben als relativ klein zu bezeichnen. Doch führte durch dieses Stück eine der wichtigsten Handelsstraßen des Mittelalters, die sich auch in die Neuzeit hinein fortsetzte:11)  die von (Nürnberg-) Augsburg nach Füssen führende Straße, die über die Ehrenberger Klause und den Fernpaß nach Imst weiterzog. Über Nassereith, wo man nach Innsbruck (-Brennerstraße) abbiegen konnte, Landeck und Nauders kam man zum Reschen-Scheideck-Paß. Von dort zog sie sich weiter durch den Vinschgau nach Bozen und Trient; hinter Trient lief sie durch das Val Sugana, erreichte bei Grigno venezianisches Territorium und bei Bassano die Po-Ebene. Über Castelfranco kam man dann nach Venedig. Dieser als »obere Straße« bezeichnete Handelsweg hatte ab Schongau eine Variante, die über Oberammergau, Ettal, Mittenwald und den Scharnitzer Sattel den Zirler Berg hinab nach Innsbruck führte und »untere Straße« benannt war. Über den Brennerpaß führte sie über Bozen und Trient nach Italien; bei der Venedig-Route bog man auf der Höhe von Unterau (Franzensfeste) nach Osten ab, wo die Straße bis Toblach durch das Pustertal führte und sich dann nach Süden wandte. Wenngleich 1492 für Münchner Kaufleute die Kesselbergstraße über den Kochel- und Walchensee erbaut worden war, um dem vielfach überschwemmten Murnauer Moor auszuweichen,12)  so waren doch die »untere« und »obere« Straße die »Geschichte enger Verbindungen zwischen zwei Metropolen der frühen Neuzeit, Augsburg und Venedig« .13 ] Zugleich waren beide Straßen die Hauptverbindungen vom östlichen Schwaben nach Tiro!. 14) Doch kamen Kaufleute aus Ulm und Oberschwaben meist auf der Straße über Kempten bei Reutte ins Gebirge, während man von Augsburg aus auch häufig die »untere« Straße (über Schongau - Ettal - Scharnitz) benützte. Gebirgs- und Paßstraßen konnten Zugang und Durchgang sein, aber auch die Möglichkeit für fast unüberwindbare Absperrungen bei sogenannten »Klausen« bieten. Die Ehrenberger Klause, eine uralte Grenzfestung, widerstand den Heeren des Schmalkaldischen Bundes 1546, des Moritz von Sachsen 1557 und schließlich 1632 den Schweden. 1782 versteigerte man die Feste und
schleifte sie.15) Bei Scharnitz war der Zugang von Bayern bzw. aus dem freisingischen Werdenfels nach Tirol mindestens ebenso gut verwehrt. Und in beiden Fällen war der Herzog von Tirol der Herr der Schanzen. Über die vergeblichen Bemühungen, die Fernpaßstrecke seit dem 19. Jahrhundert zu einer Eisenbahnverbindung von Füssen nach lnnsbruck auszubauen, ist gesondert in diesem Band berichtet.16) Die aufstrebende bayerische Landeshauptstadt München gab der lnntalstrecke und der Scharnitzlinie den Vorzug. Reutte in Tirol erreichte man mit der Eisenbahn nicht von Augsburg - Füssen aus, sondern von München über Garmisch. Die Auseinandersetzungen des Hochstifts Augsburg mit Bayern wegen des bayerischen Zolls in Schongau sind schon seit dem 4. Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts bekannt, als der damalige Bischof eine »Niederlegung wegen der Kauffmannschafft« in Bernbeuren und Füssen einrichten und eine westlich des bayerischen Schongau vorbeiführende Straße bauen ließ, um den bayerischen Zoll in Schongau zu umgehen, was zu heftigen Protesten des bayerischen Herzogs wegen Umgehung der »Reichsstraße« führte. 17)  Noch in einem Bericht von 1604 heißt es, daß die Fuhrleute den bayerischen Zoll zu Schongau umgehen, weil er die Waren von Venedig nach Augsburg ziemlich verteure: »die fuerleut suechen ... Schongau und den pairischen poden zu umbfahren«.18)

IV. Die Staatsgrenze zwischen dem Hochstift Augsburg und der Gefürsteten Grafschaft Tirol

Von herrschaftlich-staatlichen Beziehungen Tirols kann man hinsichtlich schwäbischer Territorien hauptsächlich beim Hochstift Augsburg sprechen, das vom 14. bis 16. Jahrhundert der Zersplitterung des Allgäuer Raumes zwischen Iller und Lech erfolgreich entgegenwirkte.19)  Das Hochstift Augsburg, dem bekanntlich im tirolischen Außerfern Diözesanen unterstanden, überbrückte kleinere Spannungen, die sich durch Herrschafts- und Grenzstreitigkeiten mit Tirol ergaben, durch eine Reihe von Verträgen, in der Hauptsache Vermarkungsverträgen.
Durch die erwähnten Grenzkontakte begegnen die Fürstbischöfe von Augsburg im Spätmittelalter mehrfach als Schiedsrichter zwischen den Grafen von Tirol und den geistlichen Reichsfürsten zu Brixen und Chur. Da das Hochstift meist auf habsburgischer Seite stand, hatte es häufig selbst schwer unter den Einfällen der feindlichen Truppen zu leiden, wie z. B. im Dreißigjährigen Krieg, als es deren Marsch nach Tirol nicht Einhalt gebieten konnte. Das nachbarliche Verhältnis war jedoch bereits der stärksten Belastung im Bauernkrieg 1525 ausgesetzt gewesen. 20) [37]

V. Höhepunkt der Beziehungen unter Kaiser Maximilian I.

Ostschwaben wurde seit dem 14. Jahrhundert, als sich dort Habsburger und Wittelsbacher als größte Territorialmächte installierten, zu deren territorialem Kampfgebiet. Als die wittelsbachischen Herzöge von Bayern-Landshut und Bayern-München im 15. Jahrhundert daran gingen, ihren Territorialbesitz im östlichen Schwaben bis zur Iller und weit in die schwäbische Alb hinein auszuweiten, schlossen sich gegen diese wittelsbachische Ex¬ansion auf Drängen Kaiser Friedrichs III. Fürsten, Ritter und Städte 1488 zum »Schwäbischen Bund« zusammen. Mitglieder wurden der Bischof von Augsburg, der Fürstabt von Kempten, die Grafen von Oettingen und Montfort und fast alle übrigen schwäbischen Herrschaftsträger, um ihre mühsam errungene Reichsfreiheit nicht zu verlieren. Ursprünglich mehr zur Sicherung des Landfriedens gedacht, wurde der Schwäbische Bund immer mehr zu einem Instrument der habsburgischen Politik gegen die Wittelsbacher, die entscheidend von Kaiser Maximilian aus Schwaben und vom Zugriff auf Tirol zurückgedrängt wurden: Durch das Eingreifen König Maximilians 1490 scheiterten die Versuche Herzog AIbrechts IV. von Bayern-München endgültig, durch Ausnützung der prekären Finanzsituation des Tiroler Landesherrn Herzog Sigmund des Münzreichen - der 1487 für den Fall seines Todes dem Bayern die Anwartschaft auf ganz Tirol und fast aller habsburgischen Besitzungen in den Vorlanden, also auch in Ostschwaben, eröffnet hatte - Herr von Tirol zu werden. Zwei Jahre später, 1492, gelang es Maximilian die an den Landshuter Wittelsbacher verpfändete Markgrafschaft Burgau wieder an das Haus Habsburg bringen.21) Als 1503 die wittelsbachische Linie im niederbayerischen Landshut ausstarb und sich die Verwandten in München und der Pfalz um das Landshuter Erbe stritten, konnte Maximilian als Vermittler das Land Tirol um die bayerischen Gerichte Rattenberg, Kitzbühel und Kufstein beträchtlich erweitern. Die Habsburger dominierten endgültig in Ostschwaben.
Die nachbarschaftlichen Beziehungen, die sich im Spätmittelalter auf den verschiedensten Gebieten zw¬schen dem östlichen Schwaben und Tirol angebahnt hatten, führten in der Regierungszeit Kaiser Maximilians (1493 -1519) zu einem ersten Höhepunkt. Er war bedingt durch den Aufschwung Augsburgs zur Welthandelsstadt der frühen Neuzeit und das Aufblühen von Innsbruck, der Hauptstadt Tirols, als zeitweilige Kaiserresidenz, seitdem der 1486 erwählte König Maximilian 1490 durch [38] Verzicht Sigmunds des Münzreichen auch Herr von Tirol geworden war. So wie die königliche Augsburg als Kreuzungspunkt der Handelsweg, Antwerpen nach Venedig und Genua nach Kiew zu der europäischen Welthandelsmetropolen aufgestiegen war, so traten Tirol und Innsbruck im März 1490 schlgartig in den Brennpunkt der damaligen »großen Politik".
Die geopolitische Lage Tirols bedingte, daß es zum »Scharnier« (Riedmann) zwischen dem von Maximilian durch seine Heirat mit Maria von Burgund beanspruchten Herrschaftsräumen im Westen und den österreichischen Stammlanden im Osten wurde und bedeutende Pässe nach Italien beherrschte, ganz abgesehen vom »Bergsegen« und der daraus resultierenden Finanzkraft,  welche um 1500 ihren Höhepunkt erreichte. Beide Städte und Länder rühmen sich, Maximilian sei einer der »ihren« gewesen und hätte sich jeweils da oder dort besonders wohl gefühlt. Es braucht nicht eigens betont zu  werden, daß sich damals vielfältige Beziehungen zwischen Innsbruck und Augsburg, Tirol und Schwaben, insbesondere den dort liegenden österreichischen Vorlanden einstellten. Auf sie kann im einzelnen nicht eingegangen werden, sie sind durch die Beiträge von Hye, Kießling, Palme, Kellenbenz und Egg beleuchtet. Erwähnt sei nur, daß sich in der Umgebung Kaiser Maximilian neben Tirolern auch häufig Amtsträger aus Ostschwaben  befanden. 22)

VI. Tirol als Zentrum und Außenposten habsburgischer Herrschaft - Schwaben zwischen Habsburg und Wittelsbach

Ein bestimmender Faktor in der Geschichte der schwäbischen Lande, deren Verfassungs-entwicklung seit dem Spätmittelalter von der »fortwirkenden Reichstradition  und der Vielfalt der internen politischen Kräfte «23) bestimmt wurde, war die Tatsache, daß seit König Rudolf I. die Habsburger in ihren schwäbischen Stammlanden eine entschiedene Territorialpolitik unter Ausnutzung der verbliebenen Reichsrechte betrieben. Während sie damit gegenüber den Schweizer Eidgenossen scheiterten, war ihnen in der Auseinandersetzung mit ihrem stärksten Rivalen, dem Herzog von Bayern, aufs Ganze gesehen bis in die napoleonische Zeit Erfolg beschieden.  Ein entscheidender Markstein in dieser habsburgischen Politik war, wie schon erwähnt, die Gewinnung Tirols 1363. Dessen war sich bereits Herzog Rudolf IV. bewußt, der damals an den Dogen von Venedig schrieb,  [39]»daß nun durch Gottes Gunst all Verkehrslinien zwischen Deutschland und Italien seiner Kontrolle unterstünden«.24)  Dies galt vor allem für den aufkommenden Vene-dighandel der süddeutschen Handelsstädte, insbesondere Nürnbergs und Augsburgs. Noch stärker als seine Paßstaatsfunktion in der traditionellen Nord-Süd-Richtung hatte Tirol für die österreichischen Herzöge einen unschätzbaren Wert als Brücke zwischen dem habsburgischen Herrschaftskomplex in Österreich, in der Steiermark und in Kärnten zu den habsburgischen Stammlanden im schwäbisch-alemannischen Südwesten des Reiches. »Diese neue Aufgabe Tirols als Glied in einer Verbindung nach dem Osten und Westen setzte auch neue Akzente in der inneren Entwicklung des Landes. In Handel und Verkehr dominierten zwar weiterhin die vertikalen, den Alpenhauptkamm überschreitenden Straßen und Wege, in der politischen Gewichtung gewannen nach 1363 die Kontakte nach dem Osten und vor allem nach dem Westen, in das Gebiet vor dem Arlberg, erheblich an Be-deutung.«25)  Seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert erwuchs durch die Verbindung Tirols mit dem habsburgischen Länderbesitz »vor dem Arlberg« allmählich eine neue territoriale Einheit, für die der Name »Oberösterreich« bzw. »Vorderösterreich« (= habsburgische Vor-lande) in Gebrauch kam. Dazu gehörte auch die seit 1301 habsburgische Markgrafschaft Burgau im östlichen Schwaben. Als Folge entwickelten sich fruchtbare Handels- und Kulturbeziehungen zwischen den oberschwäbischen Handelsstädten, insbesondere Ulm und Augsburg, zu Tirol. Das in Schwaz geförderte Silber und Kupfer wurde in süddeutschen Städten, vor allem in Augsburg, verarbeitet. Einen ersten Höhepunkt hatten diese Beziehungen zwischen dem Innsbrucker Hof und oberdeutschen reichsstädtischen Handelsfamilien, insbesondere den Fuggern, unter Herzog Sigmund den Münzreichen (1439/1490). Unter Kaiser Maximilian wurde Tirol und Innsbruck zum Kernland der Habsburger, wie wir gesehen haben. Durch die Erringung der ungarischen und böhmischen Krone ein Jahr nach dem Tiroler Bauernkrieg 1525/26 erhielt jedoch der habsburgische Län-derkomplex eine völlig neue Gestalt. Da zudem noch die Oberherrschaft über die Länder aus dem burgundischen Erbe Kaiser Karl V. und seinen spanischen Nachkommen zugeteilt worden war, veränderte sich die politische Position Tirols innerhalb des habsburgischen Herrschaftskomplexes grundlegend. Das Schwergewicht der nunmehr entstehenden »Donaumonarchie« der Habsburger verlagerte sich nach Osten; Tirol und die Vorlande gerieten nun in eine Randlage. Die Funktion Tirols »als in der Mitte liegendes, verbindendes Scharnier zwischen [40] den habsburgischen Gebieten im Osten und Westen« 26) wurde entscheidend gemindert.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die von Tirol ausgehende habsburgische Expansion in den schwäbischen Raum eine der grundlegenden Voraussetzungen für die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der beiden Regionen war. Diese folgten, wie schon dargelegt, den traditionellen Verkehrswegen, die vom Norden über Nürnberg, Augsburg, Füssen, den Fern- und Reschen-Scheideck-Paß bzw. Schongau - Innsbruck und dem Brennerpaß nach Italien führten. Vom schwäbischen Westen erreichten Verbindungen über den Arlberg oder von Ulm über Kempten Tirol und Italien.


VII. Wirtschafts- und Kulturbeziehungen vor der Reformation bis nach dem Dreißigjährigen Krieg (1665)


Wie in Tirol und Innsbruck, so ist auch in Augsburg das Andenken keines anderen habsburgischen Kaisers so sehr verwurzelt wie das an Maximilian 1., der wegen seiner Zuneigung zu dieser Stadt und seinen Schönheiten auch als »Bürgermeister« von Augsburg betitelt wurde. Unter seiner Herrschaft erreichten die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Augsburg und Innsbruck einen ersten Höhepunkt. Augsburger Maler und Kunsthandwerker arbeiteten für den Innsbrucker Hof, dem Geldstrom der Kaufleute folgte die schwäbische Kunst. Oberdeutsche Großunternehmer wie die Fugger (seit 1522) und Baumgartner (seit ca. 1515) verdrängten im Bergbau, vor allem zu Schwaz, schrittweise die einheimischen Gewerken. Früher als im Bergbau hatten sich die Fugger und Baumgartner in den zunächst einträglichen Silberhandel eingeschaltet. In Verbindung mit den zahlreichen Anleihen, welche die Handelsherren den Tiroler Landesfürsten seit den Tagen Herzog Sigmunds vorstreckten, errangen sie nahezu eine Monopolstellung auf diesem Gebiet und zogen daraus die entsprechenden Gewinne. Schwaz stellte für das Handelshaus der Fugger einen  wesentlichen Stützpunkt in seinem gesamteuropäischen Unternehmenskonzept dar. Aufgrund der langen Präsenz dieses Geschlechts in der Tiroler Silberstadt neigte man später dazu, in den Fuggern die Hauptnutznießer des Bergsegens in Schwaz zu sehen. In Wirklichkeit überflügelte aber die ebenfalls in Augsburg beheimatete Gesellschaft der Baumgartner die Fugger in Schwaz einige Jahrhundert hindurch in der Produktion, und auch die von Mitgliedern dieses Handelshauses gewährten Anleihen, besonders an Karl V., sicherten den [39] Baumgartnern einen ansehnlichen Anteil am Metallhandel. Die Beteiligung der Augsburger Firmen in Tirol war keineswegs nur auf den Schwazer Bergbau beschränkt. Fugger, Baumgartner, Hoechstetter und andere Familien hatten auch Anteile an den zahlreichen anderen Gruben, Hüttenwerken und sonstigen Betrieben im ganzen Land. Als das Augsburger Handelshaus der Welser im Jahre 1529 seine Aktivitäten auch auf die Neue Welt (Venezuela) ausdehnte, waren bei dieser Expedition auch Schwazer Knappen beteiligt. Bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ging der Bergbau in Schwaz wieder zurück. Neben dem Staat konnten sich nur noch die Fugger als Gewerken in Schwaz behaupten. 1660 traten diese ihren gesamten schwerverschuldeten Besitz in Tirol ohne Entschädigung an den Landesfürsten ab.

Kaiser Ferdinand I. hatte 1567 seinem zweitgeborenen Sohn, Erzherzog Ferdinand II., Tirol und die habsburgischen Vorlande (Ober- und Vorderösterreich) als selbständige Herrschaft angewiesen. Dadurch bildete Tirol für ein ganzes Jahrhundert das Zentrum eines eigenen Herrschaftsbereiches, der sich von Kufstein und dem Lienzer Becken im Osten bis nach Belfort im Sundgau im Westen, von Rovereto (Etschtal) im Süden bis nach Hagenau im Unteren Elsaß erstreckte. Dieser war aus den verschiedensten Herrschaftseinheiten zusammengesetzt: Vorderösterreich mit dem Sundgau und Breisgau, den Landvogteien im Oberelsaß, Hagenau, Ortenau und in Schwaben der Markgrafschaft Burgau zwischen Iller, Donau und Lech, der Grafschaft Hohenberg am Neckar und schließlich das heutige Vorarlberg waren damit, wie schon ehedem im 15. Jahrhundert, aufs engste mit Tirol verbunden. Neben dem gemeinsamen Landesfürsten hatte die Regierung in 1nnsbruck eine übergeordnete Stellung gegenüber dem von Maximilian I. in Ensisheim eingerichteten vorderösterreichischen Regiment. Erzherzog Ferdinand II., der 1567 in 1nnsbruck seinen Einzug hielt, war bekanntlich bereits seit 1557 mit der Tochter des Augsburger Handelsherren Franz Welser namens Philippine vermählt. Er hatte ihr die mittelalterliche Burg Ambras in der Umgebung von 1nnsbruck geschenkt, nachdem er die Anlage hatte großzügig ausbauen lassen. Hier ließ der Erzherzog auch seine umfangreichen Sammlungen aufstellen, von der manches Stück in Augsburg hergestellt worden war. Obwohl der Kaiser die unebenbürtige Heirat nach langem Zögern toleriert hatte, blieb nach dem Tode der Philippine 1580 ihren Söhnen die Nachfolge in der Landesherrschaft versagt. Der ältere, Andreas, stieg zum Kardinal der römischen Kurie und zum Bischof von Konstanz und Brixen auf, der jüngere, Karl, erhielt die Markgrafschaft Burgau mit der Residenz in [40] Günzburg, wo er nach seinem Tode 1618 in der Frauenkirche begraben wurde. Seine Nachkommen sind als habsburger Amtsträger noch einige Generationen lang in Schwaben zu verfolgen. Als Erzherzog Ferdinand 11. 1595 verstarb, wurde er wie seine erste Gemahlin Philippine Welser in der von ihm neben der Hofkirche erbauten »Silbernen Kapelle« beigesetzt. (Barockes Grabmal vom Niederländer Alexander Colin.) Unter den Nachfolgern als Regenten in 1nnsbruck verdient in unserem Zusammenhang der Hofkanzler der verwitweten Erzherzogin Claudia von Medici (+ 1648), Wilhelm Bienner, ein gebürtiger Schwabe, erwähnt zu werden. Als unbequemer Mahner gegenüber der vom ältesten Sohn Claudias, Erzherzog Ferdinand Karl, praktizierten großzügigen Lebensweise wurde er 1650 aufgrund von Verleumdungen seines Amtes enthoben und 1651 als Opfer eines Justizmordes auf dem Rattenberger Schloß hingerichtet. Schriftsteller, Dichter und Maler haben sich seit dem 19. Jahrhundert dieses dramatischen Stoffes bemächtigt und der Figur des »Kanzlers von Tirol« zu bleibender Popularität verholfen. - Ein Sohn der Erzherzogin Claudia von Medici, Sigmund Franz, war übrigens von 1646-1665 Fürstbischof von Augsburg, seit 1663 auch Landesfürst von Tirol.
Was die Kunst dieses Zeitraums angeht, so empfingen um 1500 aus der schwäbischen Kunstlandschaft eine Reihe von Malern in der Brixener Gegend entscheidende Anregungen. Besonders prägend war der Einfluß der schwäbisch-südwestdeutschen Kunstlandschaft im Vinschgau. Die spätgotische Architektur ist in Tirol zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch durch eine große Zahl von einzigartigen Kirchenbauten vertreten. (Gotischer Turmaufsatz der Pfarrkirche von Bozen, gestaltet von Burkhard Engelberg und seinem Schüler Hans Lutz von Schussenried, der auch einige Jahre hindurch den Bau der Sterzinger Pfarrkiche betreute.) Der Schwabe Bartholomäus Steinle vereinigte im Hochaltar der Stamser Stifts-kirche zu Beginn des 17. Jahrhunderts Elemente gotischer Schnitzaltäre mit frühbarocken Formen.
Auf wirtschaftlichem Gebiet dürfen schließlich die jährlich stattfindenden Bozener Messen nicht unerwähnt bleiben, die in der frühen Neuzeit ihre höchste Blüte erlebten und zum »nützlichsten Kleinod im Lande« wurden (Riedmann). Hier trafen sich Kaufleute aus Ober- und Mittelitalien, vor allem Venedig, mit solchen aus Oberdeutschland und Österreich. Umgeschlagen wurden vornehmlich Gewürze, Südfrüchte, Öl sowie Produkte des italienischen Gewerbes und Handwerks einerseits und Metalle, Metallwaren, Tuche, Felle und Pelze andererselts.

VIII. Verbindungen im Zeitalter des Barock Hl. Notburga


Als Erzherzog Sigmund Franz 1665 ohne Söhne verschied, waren zum ersten Mal seit den Herrschaftsteilungen der Habsburger im Spätmittelalter die Voraussetzungen gegeben, Tirol tatsächlich und für dauernd unter eine in Wien bestehende Regierung zu stellen. Den Innsbrucker Zentralstellen (Regierung, Kammer und Geheimer Rat) verblieben jedoch ihre Zuständigkeit für Tirol, das heutige Vorarlberg und die übrigen Vorlande, die nach dem Westfälischen Frieden 1648 noch ausgedehnte Gebiete rechts des Rheins mit dem Zentrum Freiburg sowie in Schwaben umfaßten. Kaiserliche Statthalter und Gubernatoren residierten nun in Innsbruck. Die Gründung der Universität Innsbruck - gewissermaßen als Ersatz für die verlorene Hofhaltung- im Jahre 1669 ließ den Besuch tirolischer Studenten der seit 1551 bestehenden              Hl. Notburga

ostschwäbischen Universität Dillingen versickern. Unter Maria Theresia vereinigte man die für alle ober- und vorderösterreichischen Gebiete zuständigen ZentralstelIen in Innsbruck zu einer Behörde, die seit 1763 die Bezeichnung »Gubernium« führte. Ihr Wirkungsbereich war 1752 wesentlich dadurch eingeschränkt worden, daß die in Konstanz bzw. seit 1759 in Freiburg im Breisgau für Vorderösterreich zuständigen Instanzen direkt Wien unterstellt wurden. »Damit endete die seit dem 15. Jahrhundert bestehende Verbindung zwischen den habsburgischen Gebieten im Südwesten des römisch-deutschen Rei¬ches und Tirol, die in beiden Bereichen bis zum heutigen Tage Spuren hinterlassen hat« (Riedmann). Nach Freiburg war von 1797-1805 Günzburg der letzte Sitz der vorderösterreichischen Regierung.
Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte eine neue Etappe der Beziehungen nach dem Dreißigjährigen Krieg eingesetzt. Die schwäbische Metropole Augsburg, in der seit 1648 in allen Lebensbereichen Parität versucht und auch geübt wurde, stieg wieder zum maßgeblichen Bank- und Handelsplatz in Süddeutschland auf, was ihr besondere Attraktivität für die aus Tirol und Oberitalien kommenden Kaufleute verlieh. Fast die gesamte katholische Oberschicht war nach dem Dreißigjährigen Krieg aus der Lombardei, Graubünden, Vorarlberg und vor allem aus Tirol eingewandert, wie es auch auf den durch Pest, Hunger und Krieg fast menschenleer gewordenen Dörfern Oberschwabens der Fall war. Augsburg, Innsbruck und Bozen sind wiederum die Zentren des deutsch-italienischen Warenhandels. Ein perfekt organisiertes Post-, Boten- und Transportsystem war Garant für einen relativ ständigen und regelmäßigen Verkehr.
Am sinnfälligsten erscheinen die wechselseitigen Beziehungen im 17. und 18. Jahrhundert durch den künstlerischen Austausch. Tirol, Schwaben und Oberbayern sind damals eine große Kunstlandschaft; die Augsburger Kunstakademie, gegründet 1710, entwickelt sich zu einem Mittelpunkt der bildenden Künste, an der die bedeutendsten Augsburger Maler und Kupferstecher ihre Unterweisungen gaben. Tiroler Maler und Bildhauer arbeiten in Schwaben wie umgekehrt schwäbische in Tiro!. Der Name Matthäus Günther steht für viele andere. Ein ungemein vielgestaltiges Kommunikationsnetz, das sich von Handel, Wallfahrten, tirolisch-schwäbischen Adelsverbindungen, Klosterkorrespondenzen bis zum einheitlichen Bildungssystem der oberdeutschen Jesuitenprovinz erstreckte, verknüpfte und verband beide Regionen. Den großen politischen Rahmen stellte immer noch das Alte Reich dar, untermauert durch die habsburgischen Lande in Vorderösterreich, die, wie schon dargetan, mit dem Zentrum Tirol von Freiburg im Br. über zahlreiche größere und kleinere herrschaftliche Stützpunkte, über Konstanz, Vorarlberg und die Markgrafschaft Burgau bis zur Wertachbrücke vor den Toren Augsburgs reichten. Diese reichisch-habsburgische Gemeinsamkeit und so manche grundherrschaftliche Klosterbeziehung zu den Weinbergen Tirols mag auch der Grund dafür gewesen sein, daß arme Tiroler Bergbauern im Sommer ihre Kinder den reicheren schwäbischen Nachbarn als Dienstboten angeboten hatten. Man nannte sie bald die »Schwabenkinder«. XXXXXXXXXXXXXXXXX

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Als Erzherzog Sigmund Franz 1665 ohne Söhne ver¬schied, waren zum ersten Mal seit den Herrschaftsteilun¬gen der Habsburger im Spätmittelalter die Voraussetzun¬gen gegeben, Tirol tatsächlich und für dauernd unter eine in Wien bestehende Regierung zu stellen. Den Innsbruk¬ker ZentralstelIen (Regierung, Kammer und Geheimer Rat) verblieben jedoch ihre Zuständigkeit für Tirol, das heutige Vorarlberg und die übrigen Vorlande, die nach dem Westfälischen Frieden 1648 noch ausgedehnte Ge¬biete rechts des Rheins mit dem Zentrum Freiburg sowie in Schwaben umfaßten. Kaiserliche Statthalter und Gu-bernatoren residierten nun in Innsbruck. Die Gründung der Universität Innsbruck - gewissermaßen als Ersatz für die verlorene Hofhaltung- im Jahre 1669 ließ den Besuch tirolischer Studenten in der seit 1551 bestehenden ost-schwäbischen Universität Dillingen versickern. Unter Maria Theresia vereinigte man die für alle ober- und vor-derösterreichischen Gebiete zuständigen ZentralstelIen in Innsbruck zu einer Behörde, die seit 1763 die Bezeich¬nung »Gubernium« führte. Ihr Wirkungsbereich war 1752 wesentlich dadurch eingeschränkt worden, daß die in Konstanz bzw. seit 1759 in Freiburg im Breisgau für Vorderösterreich zuständigen Instanzen direkt Wien un-terstellt wurden. »Damit endete die seit dem 15. Jahrhun¬dert bestehende Verbindung zwischen den habsburgi¬schen Gebieten im Südwesten des römisch-deutschen Rei¬ches und Tirol, die in beiden Bereichen bis zum heutigen Tage Spuren hinterlassen hat« (Riedmann). Nach Frei¬burg war von 1797-1805 Günzburg der letzte Sitz der vorderösterreichischen Regierung. Auf wirtschaftlichem Gebiet hatte eine neue Etappe der Beziehungen nach dem Dreißigjährigen Krieg einge¬setzt. Die schwäbische Metropole Augsburg, in der seit 1648 in allen Lebensbereichen Parität versucht und auch geübt wurde, stieg wieder zum maßgeblichen Bank- und Handelsplatz in Süddeutschland auf, was ihr besondere Attraktivität für die aus Tirol und Oberitalien kommen¬den Kaufleute verlieh. Fast die gesamte katholische Oberschicht war nach dem Dreißigjährigen Krieg aus der Lombardei, Graubünden, Vorarlberg und vor allem aus Tirol eingewandert, wie es auch auf den durch Pest, Hunger und Krieg fast menschenleer gewordenen Dör¬fern Oberschwabens der Fall war. Augsburg, Innsbruck und Bozen sind wiederum die Zentren des deutsch-italie¬nischen Warenhandels. Ein perfekt organisiertes Post-, Boten- und Transportsystem ist Garant für einen relativ ständigen und regelmäßigen Verkehr. Am sinnfälligsten erscheinen die wechselseitigen Beziehungen im 17. und 18. Jahrhundert durch den künstle-rischen Austausch. Tirol, Schwaben und Oberbayern sind damals eine große Kunstlandschaft; die Augsburger Kunstakademie, gegründet 1710, entwickelt sich zu ei¬nem Mittelpunkt der bildenden Künste, an der die be¬deutendsten Augsburger Maler und Kupferstecher ihre Unterweisungen gaben. Tiroler Maler und Bildhauer ar¬beiten in Schwaben wie umgekehrt schwäbische in Tiro!. Der Name Matthäus Günther steht für viele andere. Ein ungemein vielgestaltiges Kommunikationsnetz, das sich von Handel, Wallfahrten, tirolisch-schwäbischen Adels¬verbindungen, Klosterkorrespondenzen bis zum einheit¬lichen Bildungs system der oberdeutschen Jesuitenpro¬vinz erstreckte, verknüpfte und verband beide Regionen. Den großen politischen Rahmen stellte immer noch das Alte Reich dar, untermauert durch die habsburgischen Lande in Vorderösterreich, die, wie schon dargetan, mit dem Zentrum Tirol von Freiburg im Br. über zahlreiche größere und kleinere herrschaftliche Stützpunkte, über Konstanz, Vorarlberg und die Markgrafschaft Burgau bis zur Wertachbrücke vor den Toren Augsburgs reichten. Diese reichisch-habsburgische Gemeinsamkeit und so manche grundherrschaftliche Klosterbeziehung zu den Weinbergen Tirols mag auch der Grund dafür gewesen sein, daß arme Tiroler Bergbauern im Sommer ihre Kin¬der den reicheren schwäbischen Nachbarn als Dienstbo¬ten angeboten hatten. Man nannte sie bald die »Schwa¬benkinder«.


IX. Bruch und Neubeginn der Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert


Einen radikalen Bruch fast aller Beziehungen brachte die Säkularisation 1803, das Ende des Alten Reiches 1806, der deutsche Zollverein 1834 und die kleindeutsche Lö¬sung des deutschen Nationalstaates 1870/71, der die bis dahin deutsch fühlenden Tiroler von ihren nächsten Ver¬wandten und Nachbarn abtrennte. Die Säkularisation vernichtete in Schwaben, wie allerdings auch in Alt¬bayern, ein zum Teil noch blühendes, auf klösterlicher Kultur beruhendes Bildungssystem und Geistesleben; der bayerische Staats zentralismus eines Grafen Montge¬las konzentrierte den Staats- wie Kunst- und Kulturbe¬trieb auf die Hauptstadt München. Das bis zur IlIer dem neuen Königreich Bayern einverleibte Schwaben war zur Provinz im negativen Sinne herabgesunken, wenngleich sich Gewerbe und frühe Fabrikindustrialisierung bemüh¬ten, im Wettlauf mit der wachsenden und protegierten Hauptstadt München einigermaßen mitzuhalten. Doch  [41]Schwaben wird als eigenständige Kunstlandschaft nicht mehr greifbar. Die Beziehungen zwischen Bayern und Tirol wurden durch die Besetzung Tirols durch bayeri¬sche Truppen, die Säkularisation, die Wegnahme von Kunstwerken und Bücherschätzen, die Requirierung für den Kriegsdienst und nicht zuletzt durch eine überhebli¬che Verwaltung, die von religiösem Brauchtum und tiro¬lischen Freiheitsrechten nichts wissen wollte, belastet. Belastungen, die zwar auch der nunmehrige »bayerische« Schwabe zu tragen hatte, die aber in Tirol zum Volksauf¬stand von 1809 führten.
Im 19. Jahrhundert geht dann Bayerisch-Schwaben und Augsburg nach den kulturellen Beziehungen auch ihre Bedeutung als Zentrum für den Nord-Südhandel verloren, der durch den Bau der Eisenbahnstrecke über München - Rosenheim - Innsbruck - Brenner »umgelei¬tet« wurde. Der von der schwäbischen Wirtschaft wie-derholt geforderte Bau der »Fernbahn«, also einer Bahn¬verbindung über den Fernpaß - die kürzeste Nord-Süd¬Verbindung übrigens -, scheiterte am passiven Wider¬stand der zentralen Stellen in München.
Neue Anknüpfungspunkte ergaben sich in der 2. Hälf¬te des 19. Jahrhunderts durch den aufkommenden Alpi¬nismus und den Tourismus, ohne daß bis heute die einsti¬ge Dichte der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehun¬gen wieder erreicht wurde. (Vgl. Euringer-Spitze am SchIern, benannt nach dem Augsburger Bankdirektor und Heimatforscher Gustav Euringer, Verfasser des Wanderbuches »Auf nahen Pfaden«; »Augsburger Hö¬henweg« in den Lechtaler Alpen usw.) [42]

Anmerkungen

1 Vgl. Fridolin Dörrer, Die für Vorderösterreich zuständigen Behö den in Innsbruck und die Quellen zur Geschichte Vorderösterrei im Tiroler Landesarchiv (Hans Maier, Volker Press, Hrsg.), Vord österreich in der frühen Neuzeit, Sigmaringen 1989, S. 367-393.
2 Siehe Max Spindler, Handbuch der bayerischen Geschichte (HB Bde. 3/2 (Schwaben), München 1979, S. 1467 und passim.
3 Michael Forcher, Bayern - Tirol. Die Geschichte einer freud-lei, vollen Nachbarschaft, Wien, Freiburg, Basel 1981, S. 53 (Karte), 66 usw.
4 Fridolin Dörrer, Tirols außenpolitische Beziehungen zu sei Nachbarn im Norden und Süden (Überblick). In: Tiroler Hei 31/32, 1967/68, S.22.
5 Wie Anm.2.
6 Maier/Press, Vorderösterreich in der Neuzeit.
7 Pankraz Fried (Hrsg.), Probleme der Integration Ostschwaben den bayerischen Staat. Bayern und Wittelsbach in Ostschwa (VSchwFG R.7 Bd.5, Augsburg 1982; Bemhard Hagel, Vom Landrath des Oberdonaukreises zum Bezirkstag Schwa (1828-1987). (Materialien zur Geschichte des bayerischen Sch ben, hrsg. v. P. Fried, H. 5) Augsburg 1988.
8 Karl S. Bader, Der deutsche Südwesten in seiner territorialsta chen Entwicklung, 'Sigmaringen 1978 (2.); Pankraz Fried, Wolf-Dieter, Sick, Historische Landschaft zwischen Lech und Vogesen.Forschungen und Fragen zur gesamtalemannischen Geschichte, Vö. des Alemannischen Instituts Freiburg, Nr.59 bzw. der SchwFG Bd. 17, Augsburg 1988.
9 Vgl. P. Fried, Begegnung der Regionen. Die Beziehungen zwis Schwaben und der Oberpfalz. (Festschrift für Staatsminister August  Lang) 1988.
10 Siehe die neuzeitlichen Beiträge in diesem Band.
11 Uta Lindgren, Alpenübergänge von Bayern nach Italien 1500-1800,  München 1986, v. a. S. 145 ff.
12 Lindgren, Alpenübergänge, S. 99 f.

13 Bernd Roeck, Reisende und Reisewege von Augsburg nach Ve in der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahr derts (VSWG Beiheft 83) 1987, S. 179ff. 14 Wolfgang Zorn, Historischer Atlas von Bayerisch-Schwaben,

burg 1955, Karte 24. 15 Lindgren, Alpenübergänge, S. 145 f.
16 Siehe Beitrag Rothkegel in diesem Band.
17 P. Fried/S. Hiereth, Die Landgerichte Landsberg und Scho (Historischer Atlas von Bayern, Teil Altbayern H.22/23), S. 219, Anm.213.
18 Lindgren, Alpenübergänge, S. 119 f.
19 F. Dörrer (wie Anm. 4), S. 28 H.; von den winzigen Enklaven i heute Jungholz übriggeblieben.
20 Siehe Beitrag Blickle.
21 P. Fried, Die Markgrafschaft Burgau in der bayerisch-schwäbischen Landesgeschichtsschreibung (Maier/Press, Vorderösterr, S.117ff.; HBG 3/2, S.911 u. 981ff.
22 HBG 3/2, S. 910;  Josef Riedmann, Geschichte Tirols, München 1982, S. 92.
23 HBG 3/2, S. 910 f.

24 Riedmann, Geschichte Tirols, S.64. 25 Ebd., S. 65.
26 Ebd., S. 107f.

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